11 Apr Scharein: Wie wir bessere Ziele erreichen, als wir uns vorstellen können
Liebe Leserin, lieber Leser, was sind Ihre Ziele? Was tun Sie, um Ihre Ziele zu erreichen?
Menschen haben Ziele und Wünsche. In Unternehmen werden Ziele definiert und gemessen: als Umsatz, in Kennzahlen, in zufriedenen Kunden.
Wie erreichen Künstler ihre Ziele?
Durch die Galeristin Anja Bech habe ich das Vergnügen, dem Künstler Scharein in seiner Ausstellung im Hause Breuninger meine Lieblingsfrage zu stellen: Was können wir Nicht-Künstler von Künstlern lernen? Wir, die wir als Angestellte, Selbständige und Unternehmer tagtäglich an der Erreichung unserer beruflichen Ziele arbeiten?
„Wieder zu spielen. Alle Möglichkeiten zulassen, um auf Wege zu kommen, die uns noch nicht bekannt sind.“ Schareins Antwort kommt prompt und ohne Pause. „Das wird Kindern in der Schule abgewöhnt, spätestens uns aber als Erwachsenen im Beruf. Spielen heißt: eine größtmögliche Offenheit nach allen Seiten bewahren!“
Er fügt ein Beispiel an: „Eines meiner Gemälde hier ist durch ein Zwischenergebnis entstanden, was ich eigentlich so gar nicht plante. Solchen Entwicklungen sollte man folgen und darf sie nicht gleich verwerfen. Andere Wege zu verfolgen, die man bisher nicht im Kopf hatte, erfordert Mut.“ Das Beeindruckende dabei ist: „Die meisten meiner kreativen „Fehler“ führten im Endergebnis zu so außergewöhnlichen Arbeiten, dass sie mich selbst erstaunten.“
Scharein weist auf die Arbeitstechnik Picassos hin, der durch kontinuierliches Wegnehmen und Hinzufügen die Wirkung seiner Zeichnungen und Gemälde erprobte. Finden statt suchen.
Doch wie können wir dies in unseren Berufen mit jährlich neuen Umsatzzahlen, präzise abgegrenzten Aufgabenbereichen oder eng getakteten Projektzielen verwirklichen?
„Durch die Fähigkeit, außergewöhnliche Dinge wahrzunehmen, während ich mein Ziel vor Augen habe.“
Denn: „Es gibt zwei Wege, sich zu verbessern: Die Bilder sind gut – aber geht es nicht noch besser? Das ist der strikte Weg. Das ist eine Möglichkeit – aber nicht die einzige, und nicht zwingend die beste.
Der andere Weg könnte zu noch besseren Ergebnissen führen.“
Scharein fasst zusammen: „Der kreative Prozess besteht darin, zu Ergebnissen zu kommen, die man zu Beginn noch nicht genau kennt und sie auch nicht zu beschreiben vermag – mit dem Wissen, dass man dabei scheitern kann.“
Das kommt uns bekannt vor: Die Ziellösung darf nicht durch die Zielbeschreibung vorgegeben sein. Der offene Weg zum Ziel ist ein wesentliches Element der Führungstechnik „Management by objectives“, die der Management-Pionier Peter Drucker seit den 1950er Jahre entwickelte. „Führen durch Zielvereinbarung“ ist heute die wohl gängigste Methode zur Mitarbeiterführung – Ziel: Eigeninitiative. Noch stärker wird dies bei agilen Projekten deutlich. Wie können wir planen, wenn wir das Ziel noch gar nicht präzise benennen können? Doch oft passiert genau das Gegenteil: Aus einfachen Prinzipien entsteht ein bürokratisches und zeitaufwändiges System, das die notwendige Eigeninitiative des einzelnen immer weiter einschränkt.Lernen wir von Scharein, unser Ziel zu fokussieren, dabei offen zu bleiben und uns im Tun lenken zu lassen.
Und wenn wir doch in eine Sackgasse geraten?
„Dann haben wir gelernt, was nicht geht. Oder besser: wie etwas nicht funktioniert.“
Der Weg des Spielens, das offene Annähern an ein Ziel ist also immer ein erfolgreicher Weg:
„Entweder habe ich mein Ziel erreicht. Oder ich habe dazu gelernt.“
Mit dem Scheitern haben wir in Europa so unsere Probleme. Es ist im Kleinen teuer und im Großen ruinös. Es hat einen schlechten Ruf. Keiner will sich outen und so gibt es keine aussagekräftige Statistik über Gescheiterte. Doch: Wenn wir das Scheitern wie Scharein entweder als Erfolg oder als Lernen bewerten, dann ergibt sich daraus für die Unternehmen vielleicht eine dritte Option: Denn „Lernen“ ist in den Organisationsstrukturen fest verankert: in Form von Trainings, Seminaren, internen und externen Weiterbildungen. Wenn wir nun dieses Lernen, für das Organisationen bereits Geld und Zeit investieren, wandeln: in Spielen, in Experimentieren, in offenes Tun. Dann schaffen wir kreative Räume für all die Mitarbeiter, die sich selbst mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren Ideen einbringen möchten.
Wenn das Ziel im experimentierenden Training nicht erreicht wird? Dann haben wir gelernt. Wie in jedem Training auch, nur nachhaltiger. Doch was ist, wenn wir erfolgreich sind? Wenn wir beim offenen Zugehen auf unser Ziel neue Wege entdecken, die viel besser, viel erfolgreicher sind – in welchen Maßstäben wir sie dann auch bewerten mögen – dann sind wir in höchstem Maße innovativ. Ein Ansatz, der als 70/20/10-Modell für effektives Lernen erprobt und zunehmen durch Studien belegt wird. Auf der Liste der Top Skills des Weltwirtschaftsforums steht “aktives Lernen” an zweiter Stelle, dicht gefolgt von “Kreativität, Originalität und Initiative”.
Nehmen wir uns Künstler als Vorbild, um Künstlerkompetenzen auch in der Wirtschaft zu nutzen, dann stellt sich die Frage:
Wie können mehrere Menschen wie Künstler zusammenarbeiten?
Denn Bildende Künstler sind meist singuläre Arbeiter. Wie lässt sich also die Arbeitsweise auf Organisationen mit vielen Mitarbeitern übertragen? Dazu darf ich mit Dr. Wiebke Zielinski, Gesundheitsexpertin und Ehefrau des Künstlers Scharein sprechen. Sie weiß schließlich, wie man mit einem Künstler zusammenlebt und arbeitet.
„Das gelingt mit Neugierde!
Es setzt Offenheit voraus, und zwar gegenseitig. Mit dem Respekt, dass jeder eine Biografie hat, eine Ausbildung, eine Qualifikation. Indem ich anerkenne, was der andere kann. Das muss mir nicht gefallen, so wie mir auch nicht jede Kunst gefallen muss. Aber wenn ich lerne zu erkennen, dass auch in der Arbeit des anderen ein Handwerk im Sinne von Können steckt, dann ist das eine wesentliche Voraussetzung.“
Wir unterhalten uns weiter über den Begriff des Teams und stellen fest, dass er in diesem Sinne nicht so recht passt. Wenn Künstler zusammenarbeiten, dann arbeiten sie nicht im Team, aber durchaus gemeinschaftlich oder im Kollektiv. Künstler kooperieren. In diesen Begriffen steckt mehr Eigeninitiative, mehr Verantwortung, mehr Selbstführung. Sie reflektiert die Frage: „Was fördert Wertschöpfung, so dass mein Gegenüber auch etwas davon hat?“
Mit dieser Haltung sind wir wieder bei der Frage angekommen, wie wir am besten unsere Ziele erreichen: Mit Mut zu Ziellösungen, die den Weg offenlassen. Mit der Fähigkeit, zu spielen und außergewöhnliche neue Dinge wahrzunehmen. Mit der Bereitschaft, aus nicht erfolgreichen Wegen zu lernen. Und dadurch bessere Wege und höhere Ziele zu erreichen, als wir uns zu Beginn vorstellen konnten.
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Zum Selbstsehen: Bis 20. Juni 2019 sind die Gemälde von Scharein bei Breuninger in Stuttgart, Marktstraße 1-3, im Atelier der Maßschneiderei (2. OG) ausgestellt. Kontakt über die Galerie Bech, Schorndorf.
Zum Weiterlesen: Stefan Hansen und Edzard Reuter: Scharein – Ein Künstlerportrait, Berlin 2007; The Future of Jobs Report 2018, Studie des Weltwirtschaftsforums (Skill-Vergleich Seite 12)
Bildnachweis: Eigene Fotografien, Scharein und Anja Bech; Gemälde “Falsche Spiegelung”; Scharein, Erwin Staudt, Anja Bech.